Geschichten, die grammatische Regeln vermitteln
Adjektive
Die Wunschkiste
Johannes Merkel
1.
Es war einmal ein Mädchen, das hieß Sara und sie wohnte mit ihren Eltern in einem alten Haus mit vielen Mietparteien. Nur oben im Dachboden wohnte niemand und Sara wollte gar zu gerne wissen, wie es da droben wohl ausschaute. Aber als sie den Hausmeister fragte, ob sie sich vielleicht mal auf dem Dachboden umschauen darf, meinte der nur: "Was willst du dort oben? Da steht eine Menge Gerümpel herum, alles ist staubig und du machst dich nur schmutzig." Aber ohne ihn kam sie nicht in den Dachboden, denn die Tür, die dort hinaufführte, schloss er immer sorgfältig ab.
Eines Tages trat sie unten im Hauseingang auf einen Schlüsselbund. "Der sieht mir doch nach dem Schlüsselbund des Hausmeisters aus," dachte sie und hob ihn auf. Sie schlich sich zum Dachboden, steckte einen Schlüssel nach dem andern ins Schloss, und tatsächlich, einer passte, die Tür sprang auf. Sie ging durch die Tür und schloss sie von innen wieder ab.
Der Dachboden war wirklich mit altem Gerümpel vollgestellt, auf denen eine dicke Staubschicht lag. Während sie herumlief und alles anschaute, hörte sie plötzlich eine weinerliche Stimme: "Lass mich raus! Lass mich raus!.”
Sie erschrak. Wer konnte da geredet haben? Sie blickte um sich, aber da war niemand zu sehen. Und doch hörte sie wieder diese weinerliche Stimme: "Lass mich raus! Lass mich raus!”
"Wer redet denn da?" fragte sie.
Die Stimme antwortete: "Na wer schon? Ich natürlich! Mach doch bitte den Deckel auf und lass mich raus!"
Tatsächlich stand sie vor einer verstaubten Holzkiste, und jetzt bemerkte sie, dass die seltsame Stimme aus dieser Kiste kam.
„Und warum hockst du in einer Kiste?“
„Ein Versehen, ein reines Versehen! Ich schlafe, da schleicht dieser Trottel von Hausmeister vorbei und klappt den Deckel über mir zu!“
Die alte Kiste war vielleicht einen Meter lang und grad halb so breit. Ein erwachsener Mensch passte da bestimmt nicht rein. Aber wer konnte es sonst sein?
"Wer bist du überhaupt? Ein Kind? Oder ein Tier, oder was?"
"Mach auf! Dann siehst du, wer ich bin?"
Da hob Sara ganz vorsichtig den Deckel etwas hoch und staunte: Die Kiste war leer. Aber gleich hörte sie wieder die Stimme: "Ich danke dir, meine Liebe! Hättest du jetzt auch noch die Güte, mir das Dachfenster aufzumachen?“
"Ich denk nicht dran!" protestierte Sara. "Erst sagt du mir, wer du bist!"
"Sperr doch die Augen auf! Wen siehst du?"
"Niemand. Bist du vielleicht ein Geist?"
"Na bitte!"
"Ein guter oder ein gemeiner Geist?"
"Herzensgut! Ehrlich! Ich schenk dir auch was, wenn du mir nun auch das Fenster aufmachst."
"Was denn?"
"Diese traumhafte Kiste.“
„Das schmuddelige Teil? Nein danke! Die will ich noch nicht mal geschenkt!“
„Hör dir das an! Diese Göre schlägt eine Wunschkiste in den Wind! Du liebst doch flotte Klamotten. Hab ich Recht?“
„Na und?“ meinte das Mädchen.
„Meine Zauberkraft steckt in der Kiste. Du kannst dir damit neue Klamotten wünschen. Na, ist das was? So, und jetzt mach mir endlich das Dachfenster auf!“
"Nein! Das mach ich erst, wenn du mir verrätst, wie das mit dem Klamottenwünschen geht!"
"Also, dann sperr die Ohren auf! Du sagst einfach: Ich wünsche. Dann sagst du, wem du was wünscht. Und dann sagst du, was für Klamotten du wünscht und wie das Gewünschte aussehen soll. Die Kiste muss ganz genau wissen, was du haben möchtest. Und dann klappst du die Kiste auf und findest, was du wünscht. Was quatsch ich hier noch herum? Mach das Fenster auf!"
Das Mädchen öffnete das Dachfenster, und hui! schoss ein kalter Luftzug durch die Fensteröffnung nach draußen.
Sara klemmte sich die alte Kiste unter den Arm, öffnete vorsichtig die Dachbodentür und horchte. Im Treppenhaus war nichts zu hören! Sie schloss die Dachbodentür sorgfältig wieder ab, schlich sich in den Keller und stellte die Kiste in das Kellerteil, das zu ihrer Wohnung gehörte. Den Schlüsselbund aber legte sie genau an die Stelle im Hausflur, wo sie ihn gefunden hatte.
2.
Und was glaubt ihr, machte sie mit ihrer Wunschkiste? Na klar, sie schlich sich in den Keller und probierte aus, ob die Kiste wirklich Wünsche erfüllte. Sie stellte sich vor die Kiste und sagte: "Bitte, ich hätte jetzt gerne ein T-Shirt." Und dann riss sie gleich den Deckel auf, aber die Kiste war leer.
Plötzlich hörte sie eine tiefe Stimme: "Falsche Eingabe! Auftrag verweigert!"
Sie erschrak. Davon, dass die Kiste quatschte, hatte der Geist nichts gesagt. "ich fürchte, der hat mich angeschmiert," dachte sie. Oder hatte sie vielleicht etwas falsch gemacht? Was hatte der Geist gesagt? Sie sollte der Kiste doch sagen, wem sie das wünscht, und dann genau beschreiben, wie die gewünschten Klamotten aussehen sollten.
Sie probierte es noch einmal. Sie stellte sich vor der Kiste auf, und was sagte sie jetzt? "Ich wünsche mir ein T-Shirt."
Und was musste sie wieder hören? "Falsche Eingabe! Auftrag verweigert!"
Hatte sie wieder was falsch gemacht? Natürlich, sie sollte es doch genauer beschreiben!
Also zum dritten Mal: "Ich wünsche mir ein gelbes T-Shirt."
Da wackelte die Kiste und die Stimme sagte: „Auftrag ergänzen! Einfarbig oder gestreift?“
Achso! „Ich wünsche mir ein einfarbiges gelbes T-Shirt.“
„Auftrag weiter ergänzen! Eng oder weit?“
Ja, was denn noch alles? Das Mädchen wurde schon ganz ungeduldig. „Ich wünsche mir ein enges einfarbiges gelbes T-Shirt.“
„Ein enges einfarbiges gelbes T-Shirt? Auftrag bestätigen!“
Was sagte da das Mädchen? “Jawohl, ich wünsche mir ein enges einfarbiges gelbes T-Shirt.“
Es rappelte und klapperte in der Kiste und, als sie still stand, kam aus der Kiste: "Auftrag erledigt!“
Aufgeregt hob das Mädchen den Deckel hoch und was lag da in der Kiste? Ein enges einfarbiges gelbes T-Shirt! Genauso, wie sie sich die Bluse vorgestellt hatte.
Jetzt wusste das Mädchen, wie man sich mit der Wunschkiste Wünsche erfüllte. Und es hatte noch eine Menge Wünsche. Was wünschte sie sich wohl noch? Und wie drückte sie sich dabei aus, damit die Kiste ihre Wünsche auch erfüllte?
Von da an hatte das Mädchen auffallend schicke Sachen an. Das fiel natürlich zu allererst ihrer besten Freundin auf. Die fragte sie: „Woher hast du bloß auf einmal diese schicken Sachen?“
„Ach, das ist ein Geheimnis!“ meinte Sara. Aber die Freundin löcherte sie damit immer wieder. Und weil es ihre beste Freundin war, erzählte ihr Sara schließlich von der Wunschkiste, die ihr der Geist auf dem Dachboden überlassen hatte.
Da wollte sich die Freundin natürlich auch was Schickes aus der Kiste wünschen. Aber ob die Wunschkiste auch die Wünsche ihrer Freundin erfüllte? Um es auszuprobieren, stiegen sie beide in den Keller. Die Freundin stellte sich vor der Kiste auf und wünschte ein Paar nagelneue Jeans.
Aber was sagte die Kiste? „Falsche Eingabe! Auftrag verweigert!“
Offenbar hörte die Wunschkiste nicht auf die Freundin. Darum schob Sara die Freundin beiseite und sagte: „Ich wünsche meiner Freundin ein Paar nagelneue Jeans.“
Und was machte die Kiste? Sie wackelte und die Stimme sagte: „Auftrag ergänzen! Welche Farbe?“
„Schwarz“, flüsterte die Freundin und das Mädchen sagte laut: „Ein Paar nagelneue schwarze Jeans.“
„Auftrag weiter ergänzen!“
„Mit Blumen bestickt,“ flüsterte die Freundin. Und was sagte das Mädchen zur Kiste? „Ein Paar nagelneue schwarze und mit Blumen bestickte Jeans?“
„Ein Paar nagelneue schwarze und mit Blumen bestickte Jeans. Für deine Freundin. Auftrag bestätigen!“
„Richtig!" bestätigte Sara. "Ich wünsche mir für meine Freundin ein Paar nagelneue schwarze und mit Blumen bestickte Jeans.“
Es rappelte und klapperte in der Kiste. Die Stimme sagte: "Auftrag ordnungsgemäß erfüllt!“
Und als sie den Deckel der Kiste öffneten, lag da tatsächlich ein Paar nagelneue schwarze und mit Blumen bestickte Jeans.
Von da an hatte auch ihre Freundin immer so schicke Sachen an, denn nun wünschte Sara sich immer für sich und ihre Freundin, was sie gerne anziehen wollten. Was wünschten sich wohl die beiden Mädchen? Und was mussten sie sagen, damit diese Wünsche von der Kiste erfüllt wurden?
Als Saras Bruder Geburtstag hatte, wünschte sie auch für ihn was Schickes zum Anziehen. Was glaubt ihr, wünschte sie sich für den Bruder? Und was musste sie zur Kiste sagen, um es zu bekommen?
3.
Weil der Hausmeister unten im Erdgeschoß gleich neben dem Hauseingang wohnte, bekam er immer mit, wer zum Haus rein- und rausging. Und dabei fiel ihm auf, dass die beiden Freundinnen mit alten Sachen in den Keller hinunterstiegen und mit neuen Sachen wieder hochkamen. Das kam ihm verdächtig vor. Und als die beiden wieder einmal im Keller verschwanden, beobachtete er sie vom Hof aus durch ein Kellerfensterchen. Und was sah er? Die Mädchen äußerten einen Wunsch und holten sich nagelneue Klamotten aus einer alten Kiste! Na warte! Dem würde er schon auf die Spur kommen! Kaum waren die Mädchen gegangen, läutete er an der Wohnung von Saras Eltern und behauptete, er müsse in ihrem Keller eine Leitung reparieren. Das sagte er aber nur, um in deren Keller diese geheimnisvolle Kiste unter die Lupe zu nehmen. Dann baute er in seiner Werkstatt eine Kiste, die der Wunschkiste zum Verwechseln ähnlich sah. Die nachgemachte Kiste stellte er in den Keller zurück und schaffte die echte Wunschkiste in seine Wohnung.
Am nächsten Tag wollten sich die beiden Mädchen wieder etwas Schickes wünschen. Aber die Kiste antwortete nicht, und als sie den Deckel der Kiste öffneten, war sie leer. Erst dachten sie, sie hätten ihren Wunsch nicht vollständig geäußert. Deswegen wiederholten sie den Wunsch genau so, wie sie es früher gemacht hatten. Und damit die Kiste ganz genau mitkriegte, was sie sich wünschten, beschrieben sie ihren Wunsch mit immer neuen Wörtern. Könnt ihr euch denken, wie sie jetzt ihre Wünsche mitteilten? Aber das nutzte alles nichts, die Kiste blieb stumm und blieb leer.
Waren der Kiste vielleicht über Nacht die gewünschten Sachen ausgegangen? Sie versuchten es mit allen möglichen anderen Klamotten. Was wünschten sie sich wohl jetzt? Und was sagten sie zu der Kiste?
Aber auch jeder neue Wunsch schien der Kiste ausgegangen zu sein. Es half alles nichts: Die Kiste blieb stumm und leer. Sie schauten sich traurig an. Dann aber fiel der Freundin etwas auf: „Die Kiste vom Dachboden war doch staubig und abgenutzt. Warum schaut sie auf einmal so sauber und neu aus?“
Sie untersuchten die Kiste, drehten sie um, strichen mit der Hand über die Bretter: Das Holz war auf einmal viel heller, die Bretter viel glatter und die Schrauben, mit denen sie zusammengeschraubt war, glänzten. Und vor allem: Die alte Kiste war doch ganz verstaubt gewesen. Und wenn sie jetzt mit dem Finger über die Kiste fuhren, fanden sie kein einziges Staubkörnchen an ihren Fingerspitzen. „Jemand hat unsere Wunschkiste geklaut und uns eine nachgemachte hingestellt! So eine Gemeinheit!“ Aber wer konnte das nur gewesen sein? Und wer konnte überhaupt wissen, dass die alte Kiste Wünsche erfüllte?
4.
Als sie schließlich enttäuscht aus dem Keller hochkamen, kamen sie im Erdgeschoss an der Hausmeisterwohnung vorbei. Plötzlich spitzten sie die Ohren.
Sie hörten nämlich die tiefe Stimme ihrer Wunschkiste: „Falsche Eingabe! Auftrag verweigert!“
Die beiden Mädchen blieben stehen und lauschten. Jetzt hörten sie auch noch die Stimme des Hausmeisters: "Spuck mir auf der Stelle einen Computer aus! Meinst du, ich hab nicht gesehen, dass du den beiden Gören jeden Wunsch erfüllt hast? Wird es endlich, du blöde Schachtel? Du sollst einen Computer zaubern oder ich mach dich zu Kleinholz".
Aber die Kiste tat ihm den Gefallen nicht: „Falsche Eingabe! Aufrag verweigert!“
Könnt ihr euch denken, was in der Hausmeisterwohnung passierte? Der Hausmeister meinte, dass die Kiste jeden Wunsch erfüllte. Er wusste ja nicht, dass der Geist nur versprochen hatte, die Wünsche des Mädchens zu erfüllen und dass die Wunschkiste nur Sachen zum Anziehen schenkte.
Jetzt schrie der Hausmeister: "Wenn du den Computer nicht schaffst, dann schieb mir wenigstens eine Flasche Whisky rüber!" Die blöde Kiste lieferte ihm aber auch keinen Whisky.
Was glaubt ihr, womit es der Hausmeister noch versuchte?
Der Hausmeister wurde wütend, und schließlich trat er sogar gegen die Kiste, aber die Kiste wollte ihm auch jetzt keinen Computer, keinen Whisky und auch sonst nichts herausrücken.
Die beiden Mädchen ahnten natürlich, was geschehen war. Sie versteckten sich unter der Treppe und warteten ab, bis der Hausmeister wütend aus der Wohnung stapfte.
Dann schlichen sie sich in den Hof und untersuchten die Fenster der Hausmeisterwohnung. Sie hatten Glück: Das Badezimmerfenster stand einen Spalt weit offen. Sie stiegen in die Wohnung ein, holten sich ihre echte Wunschkiste wieder und stellten dem Hausmeister dafür die nachgemachte Kiste hin.
Bald kam der Hausmeister zurück und die beiden Mädchen beobachteten durch ein Fenster, wie er es noch einmal probierte und dabei die Kiste immer lauter anbrüllte. Weil sie aber auch jetzt noch immer nichts hergab, trat er schließlich wütend gegen die Kiste. Sie brach auseinander und er verbrannte die Trümmer im Ofen.
Aber das Mädchen hatte ihre Wunschkiste wieder und konnte sich für sich selbst oder für Andere alle Anziehsachen wünschen, die sie haben wollten.
5.
Wahrscheinlich habt ihr euch schon gefragt, was wohl die Eltern des Mädchens dazu sagten, dass sie ständig mit neuen schicken Sachen daherkam. Natürlich hatten sie Sara gefragt, woher sie diese Sachen hat, und sie hatte behauptet, sie würde sie von ihrer Oma geschenkt bekommen. Die die Freundin erzählte ihren Eltern, sie hätte sich diese Sachen doch nur von Sara ausgeliehen.
Natürlich fragten Saras Eltern auch bei der Oma nach. Das war aber eine sehr nette Oma. Sara hatte ihr längst verraten, dass sie eine Wunschkiste gefunden hatte. Und auf die Nachfrage der Eltern meinte die Oma, sie hätte doch neulich eine Nachzahlung ihrer Rente gekriegt und davon dem Mädchen all die schicken Sachen gekauft.
Und nun könnt ihr euch ja auch denken, wohin Sara die Wunschkiste brachte. Natürlich zu ihrer Oma. Die war fast immer zu Hause und passte gut auf sie auf. Und wenn sie aus dem Haus ging, sperrte sie die Tür immer ganz besonders sorgfältig ab, damit niemand Saras Wunschkiste klauen konnte.
[Sprachförderung: Adjektive, Subjekt-Verb-Entsprechung]